Interview 2017

Corry Siw Mirski

Fragen von Susanne Kapesser (Brotfabrik)

 

1.

Sie haben Philosophie studiert.

Hat Sie das beeinflusst? Falls ja, inwiefern?

 

Vielleicht ist man im Leben immer nach ähnlichen Motiven auf der Suche und die habe ich in der Philosophie gefunden und in meiner Arbeit. Aber die Beeinflussung ist subtil. Die Philosophie ist für mich z.B. eine Bestätigung dafür, dass ich frei bin und das beeinflusst mein Leben und meine Arbeit natürlich. In der Philosophie, wie in der Kunst suche ich den Rand des Abgrunds und das ist für mich nichts negatives, sondern vielleicht eher ein Bereich mächtiger Energie.

 

 

2. 

Auf den ersten Blick haben Ihre Werke etwas Bedrohliches, sie erinnern zunächst stark an die Fragilität des Körpers. Und ich erkenne darin, vor allem in den Objekten, eine Art Verwurzelung (die Werke erinnern mich an die Form einer Wurzel) - also auch eine Verbundenheit mit etwas.

Wie ist Ihre Sicht darauf? Würden Sie dem zustimmen?

 

Meine Arbeiten sind für mich nicht bedrohlich. Sie sind beschützend und warm und die Objekt-Figuren sind für mich wie gute Freunde. Ich habe  neulich geträumt, dass aus dem Teich, den wir im Garten haben, Untote herausgescheucht wurden, die ich zuerst auf der Wiese zum erliegen bringen wollte, damit sie dort ihre Ruhe finden, aber sie sind, nachdem sie dort hingefallen sind, wieder aufgestanden und dann haben wir uns nebeneinander gesetzt und ich wusste, es braucht Zeit. Es war ein schöner Traum. Die Zombies haben mir gar keine Angst gemacht.

Ich glaube meine Objekt-Figuren thematisieren Körperlichkeit in einer sehr radikalen Weise, vielleicht so radikal, dass sie über Körperlichkeit hinaus weisen.

 

3. 

Auf eine befremdliche Art und Weise entziehen sich die Körperlichkeiten die Sie erschaffen jeglicher Identifikationsfläche - wie etwa durch das fehlen der Haut oder die Aussparung der Augen. Würden Sie sagen, dass Sie versuchen Identifikation zu vermeiden? Warum?

 

Vielleicht spielen meine Arbeiten alle mit der Körper-Geist-Frage, die in unserer modernen Welt zugunsten des Körpers aufgelöst wurde. Das heißt, jeder Geist ist wissenschaftlich gesehen eigentlich Körper - mit dem Hauptsitz im Kopf. Meine Objekt-Körper haben keinen Kopf (das ist übrigens kein Konzept von mir, sondern hat sich so ergeben). Ich glaube nicht, dass die Wissenschaft unrecht hat, aber sie ist noch nicht am Ende, es gibt immer viel offenes und sie wird auch nicht ans Ende kommen, denke ich. 

Bei meinen Gesichtern geht es ganz klar nicht um Individualität – ganz anders als bei Portraits. Es geht eher darum, zu „sehen“, was hinter den Augen ist. Ich bin mir sicher, da ist was. Das ist der Bereich wo die Sprache definitiv aufhört. Eigentlich jegliche Ausdrucksmöglichkeit, aber wir Menschen versuchen es trotzdem immer wieder. Für mich sind Philosophie, Literatur, Poesie, Kunst, Musik Versuche, das Überindividuelle - um dem jetzt doch einen Namen zu geben - zu finden und am Ende bleiben es sehr individuelle Versuche, das ist Paradox, aber die Menschen verstehen, Philosophie, Kunst, Musik, etc.

 

4. 

Haben Sie einen eher persönlichen Zugang wenn Sie Kunst machen? Oder haben Sie das Bedürfnis eine konkrete Botschaft zu vermitteln?

 

Ich vergesse natürlich meine Person, wenn ich Kunst mache und ich bin total unpolitisch, wenn man es einfach betrachtet. Die Welt lässt sich für mich absolut nur von Innen ändern – wenn überhaupt. Es geht für mich also nur darum, mich selbst zu verändern. Die andern zu ändern wäre für mich Hybris, Anmaßung. Wenn andere das tun ist das völlig in Ordnung, es ist in Ordnung, politisch in einer z.B. missionarischen Art zu sein, denn es gibt viele, die Lösungen für die Welt suchen, aber das ist nicht mein Weg. Andererseits bin ich wohl das Gegenteil von einer abgeschlossenen Monade. Die Kunst, wie das ganze Leben in dieser Welt, ist Ausdruck und der funktioniert nur mit anderen, die mich sehen und die ich sehe.

Ich bin auch gar kein moralischer Mensch, aber ich bin mir so unglaublich sicher, dass jeder Mensch im Kern gut ist und natürlich handle ich automatisch danach, ich sehe immer das Gute, sollte es negatives geben, bin ich dafür blind, es interessiert mich nicht.

 

Fleischesleid – Sinneswut
Vom Sehen und Fühlen

Von Ute Wöllmann, Akademieleiterin


Corry Siw Mirski hat mich von Anfang an mit ihrer ungeheuren Schaffenswut und
Intensität beeindruckt. Zunächst hat sie jahrelang völlig im Verborgenen ein ungeheures
Werk geschaffen, ohne das je einer es zu Gesicht bekommen hätte. Ihr
Entschluss zu studieren und endlich diesem Bilderdrang eine Form und einen Platz
in der Öffentlichkeit zu geben, war demnach folgerichtig und überfällig.
Obsessiv tauchen immer wieder Gesichter in ihrem Werk auf, die sich aus der roten
Farbe, den Materialien und dem Gestus herausschälen. Es ist der direkte und unverhüllte
Blick den sich Corry Siw Mirski zu Nutze macht um ihre Betrachter zu
erreichen. Die schönen Gesichter zeugen von der Vergänglichkeit von Jugend und
Schönheit.
Die Künstlerin kombiniert unterschiedliche Naturmaterialien mit Silikon und
Latex. Sie nutzt die Formbarkeit des Materials und die eigene plastische Präsenz
von Samen, Ästen, Rinden usw. um reliefhafte Strukturen und eindringliche
Oberflächen zu erzeugen, sowohl bei ihren Bildern, wie auch bei den Skulpturen.
Das sehende Auge des Betrachters spürt die fleischliche Haptik, auch ohne Berührung.
Der Betrachter gerät in einen Gefühlskosmos von Anziehung bis hin zu
Ekel und Abscheu, dem er nicht entfliehen kann. Ihre Arbeiten sind herausfordernde
Statements einer bekennenden Künstlerin, die den Finger in die Wunde der je
eigenen Verletzlichkeit legt.

Ihre Bildwelten, Objekte und Skulpturen inszeniert sie an der Wand und im Raum.
Sie bilden ein massives Gegenüber, was zunächst roh und gewalttätig erscheint,
letztlich aber für die Schutzbedürftigkeit des Menschen und sein Ausgeliefertsein
eine eigene künstlerische Sprache erfunden hat, poetisch und innovativ.
Am Ende ihres Studiums präsentiert Corry Siw Mirski ein kraftvolles und beeindruckendes
Werk, das sich mit einer optischen Wucht seinen Raum im Kunstmarkt
erobern wird.


Ute Wöllmann, Akademieleiterin
Im August 2015

 

 

Ausschnitte aus der Rede zum   Abschluss als Meisterschülerin an der  Akademie für Malerei Berlin,  2015:

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Abschlussvortrag gekürzt.pdf
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