Es gibt keine Sicherheit und keine Versprechungen. Die Kunst ist frei. Kunst in meinem Sinne sperrt sich gegen jeden eindimensionalen Standpunkt. Es gibt auch keine gezwungene Geschäftigkeit. Geschäftigkeit bedeutet in der Kunst Obsession, d.h. Verlangen, Leben, Bedürfnis. Zur Kreativität gehört es geschmeidig zu bleiben, aber nicht angepasst. Es braucht Flexibilität, Mut und Sensibilität, um sich auf das, was sein soll einzulassen. Die Kunst ist, wie das Sein überhaupt, immer ein Prozess und immer im Wandel und damit kreativ. Allerdings spielt auch der Tod als die (Er-)Gänzung zum Leben und zur Lebendigkeit des Schaffens und als ein Zeichen des Übergangs eine auf subtile Weise befreiende Rolle in meinen Arbeiten.

Kreativität bedeutet auch, etwas unerwartetes zu tun. Kreativität kann nur gelebt werden und sie verflüchtigt sich, wenn versucht wird sich starr an etwas festzuhalten. Das Abwegige ist spannend, das Vorhersehbare (/Vorhersehbarkeit) ist der Tod. Spaß ist erlaubt. Zu viel Ernsthaftigkeit führt leicht zum ängstlichen verharren (und ist keine gute Antwort des Lebens gegenüber dem uns alle erwartenden Tod). Interessant ist die Abweichung, das Neue, das nur durch experimentieren entstehen kann. Ein Experimentieren, das nicht irgendeiner alten Logik vertraut. Das Denken bestärkt uns alte Wege einzuschlagen. Sich davon frei zu machen, bedeutet mehr zu leben. Sich offen halten.

Erfindungen sind kreativen, nicht wissenschaftlichen Ursprungs. Die Wissenschaft erklärt nichts. Sie beschreibt nur in ihrer je eigenen Sprache. Wissenschaft schreibt auf, schreibt fest. (Höchstens ganz selten, nach wissenschaftlichen Revolutionen, wird der wissenschaftliche Kanon gebrochen und die wissenschaftliche Sprache neu erfunden und damit die Art der Beschreibung.) Erfinden geht über aus-probieren, d.h. Erfinden ist immer ein Akt der Freiheit und Kreativität. (Wissenschaft macht durch das Aufschreiben diesen Akt ggf. wiederholbar und ist von daher natürlich durchaus nützlich - wenn auch nicht für die Kunst.) Meine Arbeitsweise ist der des Erfinders ähnlich. Erfinden ist bei mir ein Finden, welches keinem zielgerichtetem Suchen entspringt. In meinen Atelierräumen habe ich verschiedenste Materialien, mit denen ich in einem beinahe rauschartigem Zustand alchemistisch experimentiere. Dabei gibt es oft Überraschungen und immer wieder neue Techniken, die nie in einer Masche oder Einbahnstraße münden. Die Kunst entspringt dem Fluss des Spiels mit meiner Welt.

Das Perfekte interessiert mich nicht, weil es jede Offenheit schließt und damit langweilig ist, d.h. der Weg nicht weiter führt. Kategorisierbarkeit und Beherrschbarkeit gefährden meine Arbeit, weil sie den Prozess lähmen. Auf der anderen Seite können Kategorien und Machtgefüge durch die Kunst unterhöhlt werden. In der Kunst kann alles auf Probe gestellt werden. Auch Extreme und Radikalität sind möglich, interessant und erlaubt. In diesem Sinne ist Kunst für mich anarchistisch. Ich mache nicht das, was andere sich wünschen oder vorstellen oder was von mir erwartet wird. Ich bin Künstlerin, weil ich Werke (Werte) schaffen will und nicht weil ich meine Arbeitskraft an fremde Vorstellungen vermieten will (was in unserer modernen Arbeitswelt häufig ist). Das heißt nicht „alles ist möglich“, aber überall sind Möglichkeiten. Das ist Freiheit. Als der Bereich in der Gesellschaft, der Freiheit am nächsten ist, bildet die Kunst ein Gegenstück zum sinnvollen Arbeiten in der Gesellschaft. Kunst muss keinen Sinn haben. Kreativität, ist (zunächst immer) ohne Sinn. Kunst muss nicht begründet werden. Kunst darf immer das ganz andere sein.

Meine Werke sind beinahe organisch wachsend, weil sie sich aus den Umständen (mir, dem Material und dem unendlichen Kontext) ohne bewusst gesteuerten Plan entwickeln. Das Organische an sich hat sich für mich zu einem Schwerpunkt entwickelt. Entgegen allen modernen Techniken, die uns unseren Körper vergessen lassen, u.a. weil sie selber kaum noch einen haben (so ist die Handy-Übertragung als Material physikalisch so gut wie nicht nachweisbar und Chips für die Computerherstellung werden immer kleiner), ist mir unser Körper aus Fleisch und Blut bedeutsam. Wir sind unser Körper! Das organische Wachstums als etwas essenzielles, ist bei meinen Arbeiten oft auf subtile Weise präsent. Das bedeutet auch, dass mir Material als Material wichtig ist. Der Mensch besteht in gewisser Weise aus zum Leben gefundener Material-Materie. Zum Leben gefunden in einem selbst bestimmenden, kreativen Akt, der sich im Leben immer wieder wiederholt. Das Material soll in meiner Kunst als solches erkennbar und damit gewürdigt bleiben und nicht im Dargestellten unter gehen. Organische, natürlich gewachsene Materialien sind für mich besonders wertvoll. Sie sind uns Menschen näher und haben mehr Seele, als alles was uns die Technik bietet.

 

© Corry Siw Mirski 2014